Weltkindertag 2017…
…oder auch der „Kleine-Raupe-Kennenlern-Tag“
Kleine Raupe, weißt Du noch, was wir beide genau heute, am Weltkindertag vor einem Jahr gemacht haben?
Ich weiß es noch, als wäre es erst gestern gewesen. Wir beide sind um 14 Uhr zu einem, für Dich wohl den bedeutendsten Terminen, ins Jugendamt gefahren. Wir hatten am 1.6.2017 locker 30 Grad doch geschwitzt habe ich wohl nicht wegen der Hitze sondern vor lauter Aufregung.
Nach wochenlangem Bangen, vielen Gesprächen und noch mehr Terminen mit deiner zuständigen Sachbearbeiterin, dem Pflegekinderdienst, der ursprünglich zuerst ausgesuchten Familie, mehreren Supervisoren, durften wir heute vor genau einem Jahr deine jetzigen Eltern kennenlernen.
Heute, vor einem Jahr spürtest Du meine Aufregung, hast mich immer wieder mit großen Augen fragend angeschaut und hast es geschafft, zwei erwachsene Menschen innerhalb von wenigen Sekunden zu verzaubern. So sehr, dass alle im Raum anwesenden Menschen sofort wussten; dass hier wird etwas ganz Großes!
Familie! Deine Familie.
Du warst so neugierig. Deine großen, wunderschönen, blauen Augen blickten immer abwechselnd zu Deinen Eltern und wieder zu mir. Immer wieder hast Du sie schelmisch angelacht. Zwischen euch dreien, das war die große Liebe auf den ersten Blick, das war so offensichtlich. Und genau das wollte, nein musste ich einfach spüren um dich mit gutem Gewissen gehen zu lassen. Niemand zweifelte nach dieser Stunde, des ersten Treffens, dass ihr drei nicht zusammen gehört. Und so eine magische Begegnung am Weltkindertag. Einfach wundervoll!
Letztes Jahr um diese Zeit wusste ich noch nicht, dass keine Bereitschaftspflegestelle, unseres betreuenden Jugendamtes, vor uns, diesen Weg gegangen ist, eine überprüfte Familie abzulehnen weil es sich einfach unpassend anfühlte. Und doch haben wir diese zweite Chance für Dich bekommen. Du hast mir mit jeder Faser deines kleinen Körpers signalisiert, dass du in der zuerst ausgewählten Familie, nicht die Geborgenheit verspürtest, die du so zwingend brauchtest um feine, erste Wurzeln zu schlagen. Ich fühle sie noch heute, wenn ich an die vielen Wochen der Ungewissheit zurückdenke, diese erschlagende, mentale Müdigkeit!
Ein Gedankenkarussell, welches sich Tag und Nacht unaufhörlich drehte, immer wieder mit der gleichen Frage: Was, wenn das Jugendamt meine Stimme nicht ernst nimmt und was, wenn wir die Anbahnung trotz all der Widrigkeiten fortsetzen müssen?
Mehr als einmal wurde ich von unseren betreuenden Fachleuten gefragt, dass ich Dich wohl nicht abgeben wolle und Du hier bei uns wohl Deinen Platz schon gefunden hättest. Doch so war es nicht. Natürlich wussten wir, dass ein Abschied schmerzhaft werden würde und wir Dich schrecklich vermissen würden. Du warst immerhin neun Monate unser Baby. Bei uns wurdest Du vom Säugling zur kleinen, süßen Krabbelraupe, hast so viel gelernt und so viel gegeben. Doch trotz all der Liebe, die wir für Dich empfunden haben; auch wir wären dauerhaft nicht die Familie, in der Du so behütet und geborgen wachsen hättest können, wie Du es heute darfst.
Und doch, werden deine Eltern noch heute darüber erzählen, wie anstrengend die folgenden Wochen der Anbahnung für sie waren.
Anbahnung, die Zeit des Kennenlernens, wird in der Vorbereitung nicht so wahnsinnig thematisiert. Bewerbereltern haben gelernt, das Kind bestimmt das Tempo und wird signalisieren, wann es bereit ist umzuziehen und die Bereitschaftsstelle wird sie dabei unterstützen und begleiten, eine erste Bindung zum Kind zu knüpfen.
Die sechs Wochen bis zu Deinem Umzug befanden wir uns in einem Schwebezustand, der vor allen Deinen Eltern einfach alles abverlangt hat. Täglich mussten sie mitansehen, wie sehr Du uns vertraust, wie einfach uns das Füttern, Baden und Versorgen von der Hand ging. Wie Deine Händchen immer wieder nach mir griffen, weil dir die Unsicherheit zu unheimlich wurde und wie wir, wie eine normale Familie zusammen lebten. An vielen Abenden, wenn Du bereits tief und fest schliefst gab es lange Gespräche, in denen wir Deine Eltern wieder aufgebaut haben, ihnen versichert haben und wie großartig sie das alles mit Dir machen. Das Du nur noch ein wenig Zeit benötigen würdest und Du ihnen schon bald genauso vertrauen würdest, wie Du uns vertraut hast. Sie hatten riesige Sorgen, dass sie Dich hier aus Deinem Leben reißen, Dir Dein Zuhause nehmen und Du Dich womöglich nie von ihnen füttern lassen würdest. Deine Mama und ich haben einige Male sogar gemeinsam geweint weil uns annähernd klar war, was das System so kleinen Raupen noch heute antut und einmal mehr wünschte ich mir, dass Du direkt nach der Inobhutnahme Deinen festen Platz bekommen hättest.
Bereitschaftpflege sollte immer nur so kurz wie möglich und so lange wie nötig dauern.
Ich übte mit Dir autonomes Essen, kochte Dir Gemüse-Sticks und alles was irgendwie für Dich, neun Monate junges Baby geeignet war, gab ich Dir in die Hand um Deinen Eltern die Sicherheit zu geben, dass Du zumindest irgendetwas Essen würdest, wenn ich nicht mehr da sein würde.
Wir alle hatten als Ziel und als oberste Priorität, Dir Deine Bindungsfähigkeit zu erhalten. Deshalb ließen Deine Mama und Dein Papa sich sogar von einer Bindungstherapeutin beraten und stellten sich immer und immer wieder hinter Deine Bedürfnisse. Gingen wir einerseits einen Schritt vorwärts, ging es an anderer Stelle zwei wieder zurück und das, obwohl Du Dich jeden Tag so sehr gefreut hast, sie beide zu sehen.
Bis zu Deinem Umzug haben wir versucht, die Anbahnung so ruhig wie möglich zu gestalten und haben Dir bis zum letzten Tag versucht, Dir so viel Sicherheit zu vermitteln, wie es nur geht, Dir hier immer mehr Signale des Abschieds gegeben, Dir Geschichten über Dein zukünftiges Leben erzählt und immer, wirklich immer hast Du über das ganze Gesicht gestrahlt.
Am Tag Deines Abschieds habe ich Dich ganz bewusst Deiner Mama in den Arm gegeben, mich mit bedachten Worten von dir verabschiedet und Dir ein letztes Mal ein Küsschen auf die Stirn gehaucht. Unser Ritual!
Der Ausdruck, deiner wissenden Augen begleitet mich bis heute. Nicht mit Wehmut, sondern voller Dankbarkeit und Liebe, dass Du ein Teil von uns warst und wir immer ein Teil von Dir sein werden!
Und das all das heute vor einem Jahr begann, ich kann es kaum fassen, wie schnell die Zeit vergangen ist, kleine Raupe. Ich kann Dich in diesen Momenten hören aber vor allem riechen und ein Lächeln huscht mir übers Gesicht.
Genau jetzt in diesem Moment, in dem ich die letzten Zeilen fertig schreibe, erreicht mich ein zuckersüßes Bild von Dir und deiner Mama, wie ihr auf den „Kleine-Raupe-Kennenlern-Tag“ heute vor einem Jahr anstoßt und es fühlt sich so wunderbar gut an, dass sich zum Lächeln ein kleines Freudentränchen gesellt.
😍😍😍 wunderschön